Toilettenfrau oder Trinkgeldaufsicht?

Es handelt sich nicht um einen Betrieb der Trinkgeldaufsicht, sondern um einen Reinigungsbetrieb, wenn für die Erlaubnis, Trinkgelder zu sammeln, die Verpflichtung besteht, die Toiletten in einem sauberen Zustand zu halten bzw. laufend zu reinigen.

Mit dieser Begründung hat das Sozialgericht Berlin in dem hier vorliegenden Fall die Klage einer Inhaberin einer Reinigungsfirma abgewiesen, die sich mit der Klage gegen die Nachforderung der Versicherungsbeiträge gewehrt hat. Im September 2009 führte die Deutsche Rentenversicherung Bund eine Betriebsprüfung bei einem Berliner „Reinigungsservice“ durch. Gemäß § 28 p SGB IV ist es Aufgabe der Rentenversicherung, Betriebe mindestens alle 4 Jahre auf die Richtigkeit der Beitragszahlung und die Einhaltung der Meldepflichten im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu überprüfen. Hierzu gehören Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, zur Renten- und zur Arbeitslosenversicherung. Der Berliner „Reinigungsservice“ hat sich auf die Betreuung öffentlich zugänglicher Toilettenanlagen in Einkaufszentren, Warenhäusern und ähnlichen Einrichtungen spezialisiert. Im Ergebnis forderte die Rentenversicherung für den Prüfzeitraum 2005 bis 2008 rund 118.000 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen nach. Der Betrieb habe 23 bei ihm angestellten Toilettenfrauen nicht den laut Tarifvertrag des Gebäudereinigerhandwerks geschuldeten Mindestlohn von rund 8 Euro (7,87 Euro pro Stunde ab 2005, 8,15 Euro ab 2008) gezahlt, sondern lediglich zwischen 3,60 und 4,50 Euro. Für die Lohndifferenz müssten die Versicherungsbeiträge nachgezahlt werden.

Gegen den Bescheid der Rentenversicherung (Beklagte) zog die Inhaberin der Reinigungsfirma im August 2010 vor das Sozialgericht Berlin. Die Nachforderung sei für ihren kleinen Betrieb existenzvernichtend. Sie sei auch falsch, denn für ihren Betrieb gelte der Tarifvertrag des Gebäudereinigerhandwerks überhaupt nicht. Die Reinigungstätigkeit habe für den Betrieb nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Schwerpunkt der Tätigkeit der Toilettenfrauen, in der Regel Rentnerinnen, sei vielmehr die Bewachung der Teller für das Trinkgeld gewesen. Dies hätte 75 % ihrer Arbeitszeit ausgemacht. Sie hätten dabei quasi als Automaten gehandelt. Die von den Besuchern freiwillig gezahlten Trinkgelder seien die einzige Einnahmequelle des Unternehmens. Die Grundreinigung der Toiletten würde auch gar nicht durch die Toilettenfrauen, sondern durch andere Mitarbeiter oder eine speziell beauftragte Firma durchgeführt.

Nach Auffassung des Sozialgerichts Berlin sei die Nachforderung der Versicherungsbeiträge rechtmäßig: Der Betrieb der Klägerin unterfalle dem Geltungsbereich der Tarifverträge für das Gebäudereinigerhandwerk. Als Bemessungsgrundlage für die Versicherungsbeiträge seien daher zu Recht die tarifvertraglich verbindlichen Mindestlöhne herangezogen worden. Es handele sich nicht um einen Betrieb der Trinkgeldaufsicht, sondern um ein Unternehmen, das überwiegend Reinigungsleistungen erbringe. Dafür spreche schon der Name der Firma („Reinigungsservice“). Auch nach den Verträgen mit den Auftraggebern (Kaufhäusern, Einkaufszentren u.s.w.) sei wesentliche Verpflichtung der Klägerin stets gewesen, die Toiletten in einem sauberen Zustand zu halten bzw. laufend zu reinigen. Schließlich würde der Betrieb sich über die Einnahme freiwilliger Trinkgelder finanzieren, die in der Erwartung gegeben würden, dass die Toilettenmitarbeiter Reinigungsleistungen erbringen. Einige Auftraggeber hätten sogar ausdrücklich erlaubt, durch das Aufstellen von Schildern auf die Mühen der Reinigungskräfte hinzuweisen, um dadurch zur Trinkgeldabgabe zu animieren. Auf den konkreten zeitlichen Umfang der Reinigungstätigkeit komme es indes nicht an. So wie ein Arzt, der nachts Bereitschaftsdienst leistet, Arzt bleibe, bleibe eine Reinigungskraft, die sich zur Beseitigung neuer Verschmutzungen bereithält, eine Reinigungskraft.

Sozialgericht Berlin, Urteil vom 29. August 2012 – S 73 KR 1505/10