Flugannullierungen und die Klagefristen
Die Frist für die Erhebung von Klagen auf Zahlung der im Unionsrecht für die Annullierung von Flügen vorgesehenen Ausgleichsleistung bestimmt sich nach den Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über die Klageverjährung.
So der Gerichtshof der Europäischen Union in dem hier vorliegenden Fall eines Vorabentscheidungsersuchens der Audencia Provincial de Barcelona (Spanien), die mit einer Rechtssache befasst ist, in der es um die Frage geht, ob sich die Frist für die Erhebung von Klagen auf Zahlung der im Unionsrecht vorgesehenen Ausgleichsleistungen nach dem Übereinkommen von Montreal oder nach anderen Bestimmungen, insbesondere nach den Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über die Klageverjährung, bestimmt.
In dem dort zugrunde liegenden Fall erwarb Herr Cuadrench Moré bei der Fluggesellschaft KLM ein Ticket für einen am 20. Dezember 2005 vorgesehenen Flug von Shanghai nach Barcelona. Da dieser Flug annulliert wurde, war Herr Cuadrench Moré gezwungen, am darauffolgenden Tag mit einer anderen Fluggesellschaft via München zu fliegen. Am 27. Februar 2009 – das heißt mehr als drei Jahre später – erhob Herr Cuadrench Moré bei einem spanischen Gericht Klage gegen KLM, mit der er eine Ausgleichsleistung von 2 990 Euro nebst Zinsen und Kosten als Ersatz des Schadens begehrte, den er aufgrund der Annullierung seines Flugs erlitten hatte. KLM machte geltend, dass die Klage verjährt sei, da die in den Übereinkünften von Warschau[1] und Montreal[2] vorgesehene zweijährige Frist für die Erhebung von Schadensersatzklagen gegen Luftfrachtführer verstrichen sei.
Das Unionsrecht[3] gewährt den Fluggästen einen Ausgleichsanspruch, der je nach der Entfernung und dem Zielort ihres annullierten Flugs variiert, sofern nicht die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn vom Luftfrachtführer alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Fluggäste können diesen Anspruch vor den nationalen Gerichten geltend machen. Die europäische Regelung enthält jedoch keine Bestimmung über die Frist, innerhalb deren Klagen auf Ausgleichsleistung erhoben werden können. Vor diesem Hintergrund stellt die Audencia Provincial de Barcelona das Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union, wonach sich die Frist für die Erhebung von Klagen auf Zahlung der im Unionsrecht vorgesehenen Ausgleichsleistungen bestimmt.
Nach Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union bestimmt sich die Frist für die Erhebung von Klagen auf Zahlung der im Unionsrecht für die Annullierung von Flügen vorgesehenen Ausgleichsleistung nach den Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über die Klageverjährung.
In dieser Hinsicht weist der Gerichtshof der Europäischen Union darauf hin, dass es in Ermangelung einer entsprechenden unionsrechtlichen Regelung Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats ist, die Verfahrensmodalitäten für Klagen festzulegen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Jedoch müssen diese Verfahrensmodalitäten den Grundsatz der Effektivität und den Grundsatz der Äquivalenz im Vergleich zu den im innerstaatlichen Recht für ähnliche Situationen vorgesehenen Modalitäten wahren.
Der Gerichtshof der Europäischen Union fügt dem hinzu, dass diese Feststellung nicht mit den Bestimmungen der Übereinkünfte von Warschau und Montreal in Zweifel gezogen werden kann, da die in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehene Ausgleichsmaßnahme nicht in den Anwendungsbereich dieser Übereinkünfte fällt, auch wenn sie die von diesen vorgesehene Schadensersatzregelung ergänzt. Das Unionsrecht führt nämlich ein eigenständiges System der standardisierten und sofortigen Wiedergutmachung von Schäden ein, die aus den auf Verspätungen und auf Annullierungen von Flügen beruhenden Unannehmlichkeiten entstehen. Dieses System tritt neben die Übereinkünfte von Warschau und Montreal.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 22. November 2012 – C-139/11, Joan Cuadrench Moré/Koninklijke Luchtvaart Maatschappij NV
- Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, unterzeichnet in Warschau am 12.10.1929, in der durch das Haager Protokoll vom 28.09.1955, das Abkommen von Guadalajara vom 18.09.1961, das Protokoll von Guatemala vom 08.03.1971 sowie die vier Zusatzprotokolle von Montreal vom 25.09.1975 geänderten und ergänzten Fassung [↩]
- Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, geschlossen in Montreal am 28.05.1999, unterzeichnet von der Europäischen Gemeinschaft am 09.12.1999 und genehmigt in ihrem Namen durch Beschluss 2001/539/EG vom 05.04.2001, ABl. L 194, S. 38[↩]
- Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91, ABl. L 46, S. 1[↩]