Der Trompeter im Nachbarhaus

Der Bewohner eines Reihenhauses hat keinen Anspruch darauf, ein von ihm als Lärmbelästigung empfundenes Trompetenspiel aus dem benachbarten Reihenhaus nicht mehr hören.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall bewohnt das klagende Ehepaar als Nießbraucher ein Reihenhaus in einem Wohngebiet. In dem benachbarten Reihenhaus wohnt ein Ehepaar aus einer nicht musizierenden Ehefrau und einem Berufsmusiker, einen Trompeter, der im Erdgeschoss und in einem Probenraum im Dachgeschoss Trompete übt, nach eigenen Angaben maximal 180 Minuten am Tag und regelmäßig nicht mehr als an zwei Tagen pro Woche unter Berücksichtigung der Mittags- und Nachtruhe. Zudem unterrichtet er zwei Stunden wöchentlich externe Schüler.

Die Nachbarn verlangen von dem Trompeter und seiner Ehefrau das Ergreifen geeigneter Maßnahmen, damit das Spielen von Musikinstrumenten auf dem Anwesen der Nachbarn nicht wahrgenommen werden kann. Diesem Antrag hat das erstinstanzlich hiermit befasste Amtsgericht Augsburg stattgegeben[1]. In der Berufungsinstanz hat das Landgericht Augsburg das Urteil geändert und die den Trompeter und seine Ehefrau gesamtschuldnerisch verurteilt, die Erteilung von Musikunterricht an Dritte insgesamt zu unterlassen es zudem zu unterlassen, in ihrem Anwesen Instrumentalmusik zu spielen; davon ausgenommen ist nur das Dachgeschoss. Dort darf für maximal zehn Stunden pro Woche werktags (Montag-Freitag) zwischen 10 und 12 Uhr und 15 und 19 Uhr musiziert werden, und der Trompeter darf an maximal acht Samstagen oder Sonntagen im Jahr zwischen 15 und 18 Uhr jeweils maximal eine Stunde Trompete üben[2]. Mit der von dem Bundesgerichtshof zugelassenen Revision wollten der Trompeter und seine Ehefrau erreichen, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird; die Nachbarn wollen im Wege der Anschlussrevision das Urteil des Amtsgerichts wiederherstellen lassen. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr unter Zurückweisung der Anschlussrevision der Nachbarn die Klage gegen die Ehefrau des Trompeters abgewiesen und die Sache im Übrigen an das Landgericht Augsburg zurückverwiesen:

Gegen die nicht musizierende Ehefrau besteht nach Ansicht des Bundesgerichtshofs von vornherein kein Unterlassungsanspruch. Ihre Verurteilung käme nur dann in Betracht, wenn sie als sogenannte mittelbare Handlungsstörerin verpflichtet wäre, gegen das Musizieren ihres Ehemannes einzuschreiten. Das ist nicht der Fall, weil der Ehemann das Haus als Miteigentümer und damit aus eigenem Recht nutzt.

Aber auch die Verurteilung des Trompeters hatte vor dem Bundesgerichtshof keinen Bestand: Das Landgericht hat bei einem richterlichen Ortstermin festgestellt, dass das Trompetenspiel im Dachgeschoss im Wohnzimmer der Nachbarn (Erdgeschoss) nicht und in deren Schlafzimmer (Dachgeschoss) nur leise zu hören ist, während das Trompetenspiel im Wohnzimmer (Erdgeschoss) im angrenzenden Wohnzimmer der Kläger als „schwache Zimmerlautstärke“ zu vernehmen ist.

Im Ausgangspunkt steht ihnen als Nießbrauchern eines Hauses gegenüber dem Nachbarn, der sie durch Geräuschimmissionen stört, grundsätzlich ein Unterlassungsanspruch zu. Der Abwehranspruch ist jedoch ausgeschlossen, wenn die mit dem Musizieren verbundenen Beeinträchtigungen nur unwesentlich sind. Das ist anzunehmen, wenn sie in dem Haus der Kläger nach dem Empfinden eines „verständigen Durchschnittsmenschen“ nicht als wesentliche Beeinträchtigung einzuordnen sind; die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Lärmbelästigung kann nur auf Grund wertender Beurteilung festgesetzt werden. Insoweit hat das Landgericht einen zu strengen Maßstab zugrunde gelegt.

Das häusliche Musizieren einschließlich des dazugehörigen Übens gehört zu den sozialadäquaten und üblichen Formen der Freizeitbeschäftigung und ist aus der maßgeblichen Sicht eines „verständigen Durchschnittsmenschen“ in gewissen Grenzen hinzunehmen, weil es einen wesentlichen Teil des Lebensinhalts bilden und von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude und das Gefühlsleben sein kann; es gehört – wie viele andere übliche Freizeitbeschäftigungen – zu der grundrechtlich geschützten freien Entfaltung der Persönlichkeit.

Andererseits soll auch dem Nachbarn die eigene Wohnung die Möglichkeit zur Entspannung und Erholung und zu häuslicher Arbeit eröffnen, mithin auch die dazu jeweils notwendige, von Umweltgeräuschen möglichst ungestörte Ruhe bieten.

Ein Ausgleich der widerstreitenden nachbarlichen Interessen kann im Ergebnis nur durch eine ausgewogene zeitliche Begrenzung des Musizierens herbeigeführt werden. Dabei hat ein Berufsmusiker, der sein Instrument im häuslichen Bereich spielt, nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte als ein Hobbymusiker und umgekehrt.

Wie die zeitliche Regelung im Einzelnen auszusehen hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Ausmaß der Geräuscheinwirkung, der Art des Musizierens und den örtlichen Gegebenheiten; eine Beschränkung auf zwei bis drei Stunden an Werktagen und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen, jeweils unter Einhaltung der üblichen Ruhezeiten in der Mittags- und Nachtzeit, kann als grober Richtwert dienen.

Die örtlichen Gegebenheiten sind ebenfalls von Bedeutung. Können die Geräuscheinwirkungen erheblich verringert werden, indem in geeigneten Nebenräumen musiziert wird, kann es aufgrund nachbarlicher Rücksichtnahme geboten sein, das Musizieren in den Hauptwohnräumen zeitlich stärker einzuschränken; das gilt insbesondere dann, wenn auf Seiten des Nachbarn besondere Umstände wie eine ernsthafte Erkrankung eine gesteigerte Rücksichtnahme erfordern. Das Musizieren in den Hauptwohnräumen des Hauses kann aber nicht gänzlich untersagt werden. Auch die zeitlich begrenzte Erteilung von Musikunterricht kann je nach Ausmaß der Störung noch als sozialadäquat anzusehen sein.

Die Festlegung der einzuhaltenden Ruhezeiten muss sich an den üblichen Ruhezeiten orientieren; im Einzelnen haben die Gerichte einen gewissen Gestaltungsspielraum. Ein nahezu vollständiger Ausschluss für die Abendstunden und das Wochenende, wie ihn das Landgericht Augsburg vorgesehen hat, kommt jedoch nicht in Betracht. Dies ließe nämlich außer Acht, dass Berufstätige, aber auch Schüler häufig gerade abends und am Wochenende Zeit für das Musizieren finden.

Nach alledem wird hier das Trompetenspiel im Dachgeschoss, das nach den Feststellungen des Landgerichts Augsburg ausschließlich im Schlafzimmer der Nachbarn leise zu vernehmen ist, zur Mittags- und Nachtzeit als wesentlich, zu den übrigen Zeiten aber jedenfalls für etwa drei Stunden werktäglich (und eine entsprechend geringere Zeitspanne an Sonn- und Feiertagen) als unwesentlich anzusehen sein. Dann stünden dem Trompeter im Dachgeschoss relativ großzügige Zeiträume zur Verfügung; infolgedessen könnte das Trompetenspiel in den Haupträumen engeren zeitlichen Grenzen unterworfen werden. Jedenfalls insgesamt sollte das tägliche Musizieren in dem Haus etwa drei Stunden werktags (und eine entsprechend geringere Zeitspanne an Sonn- und Feiertagen) nicht überschreiten. Entstehen durch den Musikunterricht lautere oder lästigere Einwirkungen und damit eine stärkere Beeinträchtigung der Nachbarn, muss dieser ggf. auf wenige Stunden wöchentlich beschränkt werden; sofern sich das Dachgeschoss zu der Unterrichtserteilung eignet, könnte das Landgericht vorgeben, dass der Unterricht nur dort stattfinden darf.

Der Bundesgerichtshof hat daher die Sache hinsichtlich der Berufung des Trompeters an das Landgericht Augsburg zurückverwiesen, damit das Landgericht Feststellungen dazu, welche Störungen durch den Musikunterricht entstehen, treffen und die Zeiten, zu denen musiziert werden darf, abschließend festlegen kann.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. Oktober 2018 – V ZR 143/17

  1. AG Augsburg, Urteil vom 11.12.2015 – 82 C 3280/15[]
  2. LG Augsburg, Urteil vom 13.04.2017 – 72 S 4608/15[]