Rechtsextremer Jungsellenabschied – und der türkische Imbissbesitzer
Das Landgericht Magdeburg hatte vier Angeklagte u.a. wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil eines türkischstämmigen Imbissbetreibers zu Freiheitsstrafen zwischen fünf Jahren und acht Jahren und zwei Monaten verurteilt. Fünf weitere Angeklagte hat es – wegen nicht ausschließbar gerechtfertigten Handelns – freigesprochen[1]. Dieses Urteil ist mittlerweise insgesamt rechtskräftig, nachdem der Bundesgerichtshof alle hiergegen gerichteten Revisionen zurückgewiesen hat.
Die insgesamt neun Angeklagten, die der „rechtsextremen Szene“ angehörten, feierten ab dem Nachmittag des 21. September 2013 den „Junggesellenabschied“ eines Mitangeklagten. Am Abend dieses Tages trafen sie in erheblich alkoholisiertem Zustand im Bahnhof in Bernburg (Sachsen-Anhalt) auf den aus der Türkei stammenden Nebenkläger, der dort einen Imbiss betrieb, und dessen Lebensgefährtin. Nachdem ein Angeklagter den Nebenkläger und dessen Lebensgefährtin beleidigt hatte und zudem mit dieser in Streit geraten war, versuchte der Nebenkläger diesen Angeklagten zu vertreiben, wobei er vor ihm mit einem herbeigeholten Stock schlagende Bewegungen in der Luft machte. Der Angeklagte warf eine Bierflasche gegen den Kopf des Nebenklägers, der daraufhin dem Angeklagten nachsetzte, um ihn wegen des Flaschenwurfs zur Rechenschaft zu ziehen. Um ihn von Schlägen mit dem Stock abzuhalten, traten und schlugen die Angeklagten den Nebenkläger und entwaffneten ihn, wodurch er noch keine lebensbedrohlichen Verletzungen erlitt. Daraufhin wandten sich die fünf freigesprochenen Angeklagten vom Tatgeschehen ab.
Auch als der Nebenkläger entwaffnet zu Boden gestürzt war und liegen blieb, schlugen und traten die vier verurteilten Angeklagten auf den Kopf und den Körper des Nebenklägers ein, wobei sie seinen Tod zumindest billigend in Kauf nahmen. Durch diese Schläge und Tritte sowie durch den Flaschenwurf erlitt der Nebenkläger lebensbedrohliche Verletzungen, darunter Schädelbrüche, und konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Eine Verurteilung wegen versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen hat das Landgericht abgelehnt, weil tragendes Motiv für die Tat nicht Ausländerhass, sondern die Wut der Angeklagten über den Stockeinsatz gewesen sei.
Bereits im April hat der Bundesgerichtshof die Revision des Tatopfers hinsichtlich der vier verurteilten Angeklagten verworfen. Der Nebenkläger hat u.a. geltend gemacht, das Strafverfahren hätte in erster Instanz vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes verhandelt werden müssen. Diese Rüge hatte keinen Erfolg, weil in keinem Verfahrensstadium hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Staatsschutzdeliktes im Sinne nach § 120 Abs. 2 Nr. 3a GVG gegeben waren. Auch das Vorliegen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe hat das Landgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint.
Und jetzt wies der Bundesgerichtshof auch die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen die Freisprüche der übrigen fünf Angeklagten zurück. Das Landgericht hat sich, befand der Bundesgerichtshof, auf tragfähiger Grundlage – insbesondere aufgrund der Aussagen von zwei unbeteiligten Zeugen und der Lebensgefährtin des Nebenklägers – nicht davon überzeugen können, dass auch diese Angeklagten an der nach der Entwaffnung des Nebenklägers erfolgten Gewaltanwendung beteiligt waren. Auch die Überprüfung der rechtlichen Bewertung des festgestellten Verhaltens der Angeklagten im Zusammenhang mit der Entwaffnung des Nebenklägers als Notwehr hat keine Rechtsfehler ergeben. Nach den Feststellungen waren sie berechtigt, im Wege der Notwehrhilfe den Angriff des einen Stock mit sich führenden Nebenklägers auf einen der verurteilten Mitangeklagten zu unterbinden. Dass sie dabei das Maß des zur Abwehr Erforderlichen überschritten, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 15. April 2015 und vom 2. Juli 2015 – 4 StR 509/14
- LG Magdeburg, Urteil vom 02.05. 2014 – 21 Ks 8/13[↩]




