Eilrechtsschutz gegen die Verlegung in eine andere JVA
Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen stattgegeben, der sich zuvor erfolglos vor der Strafvollsteckungskammer gegen seine Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt gewehrt hatte. Das Bundesverfassungsgericht sah sein Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art.19 Abs. 4 Grundgesetz verletzt:
Der Strafgefangene befand sich zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt. Gegen seine Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt begehrte er Eilrechtsschutz und strengte ein Hauptsacheverfahren an. Mit dem angegriffenen Beschluss wies die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurück; der Strafgefangene vermöge mit seinem Antrag nicht durchzudringen, weil dies einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichkäme, die grundsätzlich unzulässig sei. Dass der Strafgefangene sein Fernstudium aufgrund der Verlegung nicht fortführen könne, erschließe sich nicht[1].
Diese Entscheidung des Landgerichts verletze den Strafgefangene in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art.19 Abs. 4 GG, entschied nun das Bundesverfassungsgericht und verwies die Sache zurück an das Landgericht Dortmund: Der Gesetzgeber knüpft die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Strafvollzug an unterschiedliche Voraussetzungen, je nachdem ob der Antragsteller sich gegen eine ihn belastende Maßnahme wendet oder die Verpflichtung zum Erlass einer von der Anstalt abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme begehrt. Das Landgericht hat nicht erkennen lassen, nach welcher der beiden Alternativen es entschieden hat. Begehrt ein Gefangener Eilrechtsschutz gegen eine Verlegung, so geht es – auch wenn diese bereits erfolgt ist – um die vorläufige Aussetzung einer ihn belastenden Maßnahme. Indem das Gericht die für die Prüfung einer Aussetzungsanordnung erforderliche Interessenabwägung unterlassen hat, ist es den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen effektiven vorläufigen Rechtsschutz nicht gerecht geworden.
Die gegen die Entscheidung des Landgerichts erhobene Verfassungsbeschwerde ist überwiegend zulässig und insoweit offensichtlich begründet. Der Beschluss verletzt den Strafgefangene in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art.19 Abs. 4 GG.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit der Strafgefangene Verletzungen des Willkürverbots, der Rechtsschutzgarantie und des Rechts auf rechtliches Gehör geltend macht. Sie ist unzulässig, soweit der Strafgefangene eine Verletzung seines Rechts auf Resozialisierung rügt. Die insoweit geltend gemachte Grundrechtsverletzung kann grundsätzlich im fachgerichtlichen Hauptsacheverfahren ausgeräumt werden.
Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts verletzt den Strafgefangene in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art.19 Abs. 4 GG. Aus dieser grundgesetzlichen Garantie folgt das Verfassungsgebot, soweit wie möglich zu verhindern, dass durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme Tatsachen geschaffen werden, die auch dann, wenn sich die Maßnahme bei richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Die Entscheidung des Landgerichts wird diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht.
Der Gesetzgeber differenziert bei der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Strafvollzug nach dem Gegenstand der Hauptsache. Er stellt in § 114 Abs. 2 Strafvollzugsgesetz unterschiedliche Voraussetzungen auf, je nachdem ob der Antragsteller sich gegen eine ihn belastende Maßnahme wendet oder die Verpflichtung zum Erlass einer von der Anstalt abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme begehrt. Beantragt ein Gefangener Eilrechtsschutz gegen eine Verlegung, so geht es um die vorläufige Aussetzung einer ihn belastenden Maßnahme. Dies gilt auch dann, wenn die Verlegung – wie hier – bereits vollzogen wurde und der Antragsteller im Eilverfahren zugleich die Rückgängigmachung des Vollzugs dieser Maßnahme begehrt.
Die Strafvollstreckungskammer hat nicht klar zwischen den unterschiedlichen Voraussetzungen bei belastenden oder abgelehnten beziehungsweise unterlassenen Maßnahmen unterschieden. Die Annahme des Gerichts, dass eine stattgebende Entscheidung die Hauptsache in unzulässiger Weise vorwegnehmen würde, ist nicht haltbar. Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt nicht vor, wenn die einstweilige Aussetzung einer Maßnahme begehrt wird, die bei entsprechendem Ausgang des Hauptsacheverfahrens wieder in Geltung gesetzt werden kann. Die bloße Tatsache, dass die vorübergehende Aussetzung als solche nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, macht die vorläufige Regelung nicht zu einer faktisch endgültigen.
Die Strafvollstreckungskammer hätte vielmehr prüfen müssen, ob die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Strafgefangenen vereitelt oder wesentlich erschwert wird, und ob der Aussetzung ein höher zu bewertendes Interesse an dem sofortigen Vollzug nicht entgegensteht. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob nach einer summarischen Prüfung der Antragsteller mit seinem Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird. Indem das Gericht die danach erforderliche Interessenabwägung unterlassen hat, ist es den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen effektiven vorläufigen Rechtsschutz nicht gerecht geworden.
Vor dem Hintergrund des festgestellten Verfassungsverstoßes kann offenbleiben, ob die Strafvollstreckungskammer auch einen Gehörsverstoß begangen hat. Hierfür spricht, dass die Bevollmächtigte des Strafgefangenen ausdrücklich auf dessen Schriftsatz verwiesen hat, in dem er im Einzelnen dargelegt hat, aus welchen Gründen er sein Fernstudium gegenwärtig nicht fortsetzen könne. Hierzu hat sich das Landgericht überhaupt nicht verhalten.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30. September 2024 – 2 BvR 150/24
- LG Dortmund, Beschluss vom 21.12.2023 – 68 StVK 1030/23[↩]




