Die schwangere Hochrisikopatientin – und das unzureichend ausgestattete Krankenhaus

Eine mit eineiigen Zwillingen schwangere Hochrisikopatientin darf ausschließlich in einer Klinik behandelt werden, die auch über eine neonatologische Intensivstation verfügt. Ihre andauernde Behandlung in einer Geburtsklinik ohne Möglichkeit der jederzeitigen notfallmäßigen intensiven medizinischen Versorgung der Neugeborenen, ist grob fehlerhaft. 

Mit dieser Begründung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ein Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main[1] bestätigt, wonach dem schwerstbehinderten Kind der Schwangeren ein Schmerzensgeld in Höhe von 720.000,00 € zusteht. 

Das Kind nimmt den Arzt und die Geburtsklinik wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung im Vorfeld seiner Geburt auf Schmerzensgeld und Schadenersatz in Anspruch. Die Mutter des Kindes war mit 37 Jahren erstmals schwanger. Es handelte sich um eine hochriskante eineiige Zwillingsschwangerschaft. Die Mutter des Kindes wurde über Wochen von dem beklagten Arzt in der mitverklagten Geburtsklinik stationär behandelt. Die Klinik verfügte nicht über eine Neugeborenenstation. Eines Tages wurde festgesellt, dass sich ein typisches Risiko der Schwangerschaft realisiert hatte. Einer der beiden Föten war im Mutterleib verstorben. Das Kind wurde nachfolgend mit Notkaiserschnitt mit schwersten Hirnschäden entbunden.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat auf der Grundlage eines gynäkologischen Sachverständigengutachtens den Arzt und die Klinik zu einem Schmerzensgeld i.H.v. 720.000 € verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung von Arzt und Klinik hatte vor dem Oberlandesgericht Frankfurt keinen Erfolg. Nach weiterer Beweisaufnahme habe sich bestätigt, dass Arzt und Klinik den heutigen äußerst schlechten Gesundheitszustand des Kindes durch mehrere grobe Behandlungsfehler verursacht hätten und ihm deshalb Schmerzensgeld in dieser Höhe schuldeten, entschied das Oberlandesgericht.

Das medizinische Gesamtkonzept sei – wie vom Sachverständigen wiederholt eindrücklich erläutert – offensichtlich fehlerhaft gewesen. Die Mutter des Kindes habe insbesondere als schwangere Hochrisikopatientin ausschließlich in einer Klinik behandelt werden dürfen, die auch über eine neonatologische Intensivstation verfüge. Bei einer Hochrisikoschwangerschaft mit eineiigen Zwillingen könne es jederzeit zu einer Frühgeburt oder zu schweren Komplikationen bis hin zum Fruchttod eines Fetus kommen. Dies mache eine sofortige Entbindung und eine sofortige Notfallbehandlung des oder der Neugeborenen erforderlich. Eine angemessene Behandlung dieser Neugeborenen könne nur durch neonatologische Fachärzte mit einer entsprechenden technischen Ausstattung gewährleistet werden. „Die Behandlung von Frühchen ist extrem heikel. Durch jedwede auch nur kurzfristige Fehlversorgung drohen unmittelbar schwere Schäden“, vertiefte das Oberlandesgericht.

Die auf die Fehlbehandlung zurückzuführenden schweren Hirnschäden des Kindes hätten mannigfache gravierende Auswirkungen. Das Kind leide unter anderem unter einer ausgeprägten Entwicklungsstörung, sei blind und habe eine starke Hörschwäche, seine Schluckfähigkeit sei gestört ebenso wie die Kontrolle seiner Blase. Die erlittenen schwersten Gesundheitsschäden rechtfertigten ein Schmerzensgeld i.H.v. 720.000 €.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 18. Februar 2025 – 8 U 8/21

  1. LG Frankfurt a.M., Urteil vom 18.1.2021 – 2-04 O 19/11[]