Der Zugang einer Gewerkschaft zu den Mail-Adressen der Arbeitnehmer
Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, der für ihn tarifzuständigen Gewerkschaft die dienstlichen E-Mail-Adressen seiner – bereits vorhandenen und neu hinzukommenden – Arbeitnehmer zum Zweck der Mitgliederwerbung mitzuteilen. Ein solches Begehren kann nicht auf eine von den Gerichten – im Weg der gesetzesvertretenden Rechtsfortbildung – vorzunehmende Ausgestaltung der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Koalitionsbetätigungsfreiheit gestützt werden.
In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall wurde über Möglichkeiten der klagenden Gewerkschaft gestritten, im Betrieb der Arbeitgeberin digital Werbung zu betreiben. Die Arbeitgeberin entwickelt, produziert und vertreibt Sportartikel. Sie ist die Obergesellschaft eines weltweiten Konzerns. Die Gewerkschaft ist die für die Arbeitgeberin zuständige Gewerkschaft. Im Betrieb sind etwa 5.400 Arbeitnehmer tätig. Ein erheblicher Teil der betriebsinternen Kommunikation findet digital – unter anderem über E-Mail, die von Microsoft 365 entwickelte Anwendung Viva Engage und das konzernweite Intranet – statt. Die meisten Arbeitnehmer verfügen über eine unter der Domain der Arbeitgeberin generierte – namensbezogene – E-Mail-Adresse.
Die Gewerkschaft hat die Auffassung vertreten, ihr müsse für die Mitgliederwerbung ein „Zugang“ zu diesen Kommunikationssystemen eingeräumt werden. Die Arbeitgeberin sei daher unter anderem verpflichtet, ihr sämtliche betrieblichen E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer zu übermitteln. Zumindest habe sie einen solchen Anspruch, um den Arbeitnehmern bis zu 104 E-Mails im Jahr mit einer Größe von bis zu 5 MB zu übersenden. Zudem sei ihr ein Zugang als „internal user“ zum konzernweiten Netzwerk bei Viva Engage zu gewähren, damit sie dort eine bestimmte Anzahl werbender Beiträge einstellen könne. Außerdem müsse die Arbeitgeberin auf der Startseite ihres Intranets eine Verlinkung mit einer Webseite der Gewerkschaft vornehmen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage der Gewerkschaft abgewiesen, das Landesarbeitsgericht Nürnberg ihre Berufung zurückgewiesen[1]. Das Bundesarbeitsgericht sah dies nun ebenso und hat auch die Revision der Gewerkschaft als unbegründet zurückgewiesen:
9 Abs. 3 GG gewährleistet einer Gewerkschaft zwar grundsätzlich die Befugnis, betriebliche E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer zu Werbezwecken und für deren Information zu nutzen. Allerdings haben die Gerichte – mangels Tätigwerdens des Gesetzgebers – bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigungsfreiheit auch die mit einem solchen Begehren konfligierenden Grundrechte des Arbeitgebers aus Art. 14 und Art. 12 Abs. 1 GG sowie die ebenfalls berührten Grundrechte der Arbeitnehmer aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in den Blick zu nehmen. Sie haben alle betroffenen Positionen im Weg der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie trotz ihres Gegensatzes für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Hiervon ausgehend blieb der auf eine bloße Übermittlung der betrieblichen E-Mail-Adressen gerichtete Klageantrag erfolglos. Ein solches isoliertes Begehren ermöglicht keine – die kollidierenden Verfassungswerte ausgleichende – Ausgestaltung der Koalitionsbetätigungsfreiheit.
Auch der hilfsweise Klageantrag, der auf eine Mitteilung der betrieblichen E-Mail-Adressen und eine Duldung ihrer Verwendung in bestimmtem Umfang abzielte, war unbegründet. Die mit dem Leistungs- und Duldungsverlangen jeweils einhergehenden Belastungen der Arbeitgeberin beeinträchtigen sie erheblich in ihrer verfassungsrechtlich garantierten wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit und begründen – schon jeweils für sich genommen – ihr überwiegendes Schutzbedürfnis gegen eine solche Inanspruchnahme. Das Abwägungsergebnis hat nicht zur Folge, dass damit für die Gewerkschaft keine Möglichkeit eröffnet wäre, das E-Mail-System der Arbeitgeberin zu Werbe- oder Informationsmaßnahmen zu nutzen. Ihr steht die Möglichkeit offen, die Arbeitnehmer vor Ort im Betrieb nach ihrer betrieblichen E-Mail-Adresse zu fragen. Auch für deren grundrechtlich verbürgte Belange stellt dies den schonendsten Ausgleich dar.
Der auf eine Nutzung des konzernweiten Netzwerks bei Viva Engage gerichtete Klageantrag blieb ebenfalls erfolglos. Die damit verbundenen Beeinträchtigungen der Arbeitgeberin übersteigen das durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Interesse der Gewerkschaft an der Durchführung solcher Werbemaßnahmen.
Auch der auf die Vornahme einer Verlinkung im Intranet der Arbeitgeberin abzielende Klageantrag war unbegründet. Die Gewerkschaft konnte ihr Begehren mangels einer planwidrigen Regelungslücke im Betriebsverfassungsgesetz nicht auf eine analoge Anwendung von § 9 Abs. 3 Satz 2 BPersVG stützen. Ob sich ein solches Begehren grundsätzlich aus Art. 9 Abs. 3 GG ergeben kann, konnte das Bundesarbeitsgericht offenlassen. Jedenfalls kann die Gewerkschaft nicht verlangen, dass ein auf ihre Webseite verweisender Link auf der Startseite des Intranets angebracht wird.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. Januar 2025 – 1 AZR 33/24
- LAG Nürnberg, Urteil vom 26.09.2023 – 7 Sa 344/22[↩]




