Der Deal im Strafverfahren – und die Belehrung des Angeklagten

Die gesetzlich vorgeschriebene Belehrung des Angeklagten im Rahmen einer Verständigung muss, wie das Bundesverfassungsgericht jetzt in der Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde ausdrücklich betont hat, nicht nur vor seinem Geständnis, sondern bereits vor seiner Zustimmung zu der Verständigung erfolgen.Dies folgt aus dem Recht des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und dem verfassungsrechtlichen Grundsatz, dass jede Person über ihre Mitwirkung im Strafverfahren frei entscheiden kann.

Wird der Angeklagte erst nach seiner Zustimmung zu der Verständigung belehrt, beruhen sein Geständnis und das Strafurteil im Regelfall auf dieser Grundrechtsverletzung. Für eine anderweitige Beurteilung im Einzelfall muss das Revisionsgericht konkrete Feststellungen treffen.

Der Ausgangssachverhalt[↑]

Das Landgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer im Dezember 2012 wegen Beihilfe zur in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge begangenen unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren[1]. Dem Urteil ging eine Verständigung voraus, die der Verteidiger des Beschwerdeführers initiiert hatte. Die Strafkammer stellte dem Beschwerdeführer in Aussicht, eine Freiheitsstrafe von nicht über 6 Jahren und 6 Monaten zu verhängen, wenn dieser u. a. ein glaubhaftes Geständnis ablege und auf sämtliche sichergestellten Gelder und Gegenstände verzichte.

Der Beschwerdeführer, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft stimmten dem Vorschlag zu. Erst anschließend wurde der Beschwerdeführer gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt. Daraufhin nahm der Verteidiger sämtliche bislang noch nicht beschiedenen Beweisanträge zurück. Im folgenden Hauptverhandlungstermin – eine Woche später – verlas der Verteidiger eine schriftliche Erklärung des Beschwerdeführers, die vom Gericht als ausreichendes Geständnis im Sinne der Verständigung gewertet wurde. Seine Überzeugung von der Schuld des Beschwerdeführers stützte das Gericht unter anderem auf dieses Geständnis.

Gegen das Urteil des Landgerichts Berlin legte der Beschwerdeführer Revision ein und rügte, dass die Vorschrift des § 257c Abs. 5 StPO dadurch verletzt worden sei, dass der Vorsitzende es unterlassen habe, den Beschwerdeführer bereits bei der Unterbreitung des Verständigungsvorschlags zu belehren. Dies verletze sein Recht auf ein faires Verfahren, weil die Vorgehensweise des Gerichts ihm die Möglichkeit genommen habe, das mit der Zustimmung zu der Verständigung einhergehende Risiko richtig einzuschätzen. Das Urteil beruhe auch auf dem Belehrungsmangel, da nicht auszuschließen sei, dass die Hauptverhandlung bei Belehrung vor Abschluss der Verständigung einen ganz anderen Verlauf genommen hätte.

Der Generalbundesanwalt schloss sich in seiner Antragsschrift im Revisionsverfahren der Ansicht des Beschwerdeführers an und beantragte, das Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO wegen des Verstoßes gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO aufzuheben. Dem Beschwerdeführer sei durch die verspätete Belehrung eine autonome Entscheidung über das Eingehen der Verständigung nicht möglich gewesen. Das Urteil beruhe auch auf dem Verfahrensfehler. Bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht sei im Rahmen der revisionsgerichtlichen Prüfung regelmäßig davon auszugehen, dass das Geständnis und damit auch das Urteil auf dem Unterlassen der Belehrung beruhten. Für einen Ausnahmefall seien vorliegend keine Anhaltspunkte gegeben.

Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision[2]mit der Begründung, es liege zwar ein Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO vor, der auch nicht durch eine rechtsfehlerfreie Wiederholung des von dem Verfahrensfehler betroffenen Verfahrensabschnitts geheilt worden sei; das Urteil des Landgerichts beruhe aber ausnahmsweise nicht auf dem Verstoß. Eine Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis könne ausgeschlossen werden, weil der Beschwerdeführer dieses auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte. Die Belehrung sei zwar verspätet, aber noch vor Ablegung des Geständnisses erfolgt, und zwar unmittelbar nach der allseitigen Zustimmung zum gerichtlichen Verständigungsvorschlag. Dadurch sei der Beschwerdeführer über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelten Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis unterrichtet gewesen. Außerdem habe er eine Überlegungsfrist von einer Woche gehabt sowie einen Verteidiger, der die Verständigung selbst initiiert und an der Gestaltung des Geständnisses mitgewirkt habe. Bei alledem sei eine die Selbstbelastungsfreiheit des Beschwerdeführers berührende Drucksituation auszuschließen. Im Übrigen liege denkbar fern, dass der Verteidiger die Initiative zur Verständigung ohne Information seines Mandanten über deren Konsequenzen ergriffen hätte. Unter diesen besonderen Umständen sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, bevor er seine Mitwirkungshandlungen vorgenommen habe, vollen Umfangs über die Tragweite seiner Mitwirkung an der Verständigung informiert gewesen sei und autonom darüber habe entscheiden können, ob er von seiner Aussagefreiheit Gebrauch machen wolle. Schließlich sei auch schon der in dem Verständigungsvorschlag enthaltenen Formulierung „… für den Fall, dass er ein glaubhaftes Geständnis ablegt …“ ein klarer Hinweis darauf zu entnehmen gewesen, dass die Entscheidung hierüber ebenso wie über die Vornahme der weiteren Mitwirkungshandlungen weiterhin beim Beschwerdeführer gelegen habe.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[↑]

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen und das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen, da die angegriffenen Urteile des Landgerichts Berlin und des Bundesgerichtshofs den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren verletzen und gegen die Selbstbelastungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG) verstoßen.

Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung[↑]

Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist im Rechtsstaatsprinzip verankert und hat Verfassungsrang. Der Beschuldigte muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt. Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist. Nur so ist gewährleistet, dass er autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, (weiterhin) Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt.

Mit der Aussicht auf eine Verständigung wird es dem Angeklagten in die Hand gegeben, durch sein Verhalten spezifischen Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses zu nehmen. Anders als in einer nach der herkömmlichen Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung kann er mit einem Geständnis die das Gericht grundsätzlich bindende Zusage einer Strafobergrenze und damit Sicherheit über den Ausgang des Verfahrens erreichen. Der Angeklagte muss deshalb wissen, dass die Bindung keine absolute ist, sondern unter bestimmten Voraussetzungen – die er ebenfalls kennen muss – entfällt. Nur so ist es ihm möglich, Tragweite und Risiken der Mitwirkung an einer Verständigung autonom einzuschätzen. Die in § 257c Abs. 5 StPO verankerte Belehrungspflicht ist aus diesem Grund keine bloße Ordnungsvorschrift, sondern eine zentrale rechtsstaatliche Sicherung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und der Selbstbelastungsfreiheit.

Eine Verständigung ohne vorherige Belehrung verletzt den Angeklagten grundsätzlich in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seiner Selbstbelastungsfreiheit. Im Rahmen der revisionsgerichtlichen Prüfung wird bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht regelmäßig davon auszugehen sein, dass das Geständnis und damit auch das Urteil hierauf beruht. Kann eine Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis ausnahmsweise ausgeschlossen werden, muss das Revisionsgericht hierzu konkrete Feststellungen treffen.

Die Verständigung ohne vorherige Belehrung[↑]

Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben genügen die angegriffenen Urteile nicht.

Der Bundesgerichtshof verkennt die grundlegende Bedeutung der Belehrungspflicht für die betroffenen Grundrechte. Er schließt ein Beruhen des Geständnisses (und damit auch des landgerichtlichen Urteils) auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus, weil davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer es auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte. Indes beruht diese Schlussfolgerung nicht auf Feststellungen, die die Willensbildung des Beschwerdeführers konkret in den Blick nehmen. Vielmehr liegt ihnen die generalisierende Annahme zugrunde, dass ein anwaltlich verteidigter Angeklagter jedenfalls dann nicht mehr unter dem Eindruck der zunächst ohne Belehrung geschlossenen Verständigung steht, wenn das nach einer Überlegungsfrist von einer Woche abgelegte Geständnis unter Mitwirkung seines Verteidigers entstanden ist und dieser die Verständigung selbst initiiert hat. Eine solchermaßen vom Einzelfall losgelöste Prüfung, ob das Urteil auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht beruht, ist mit dem oben genannten Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht in Einklang zu bringen.

Es ist nicht auszuschließen, dass der Bundesgerichtshof bei Anwendung des verfassungsrechtlich gebotenen Maßstabs zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Aus diesem Grund ist das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26. August 2014 – 2 BvR 2048 – /13

  1. LG Berlin, Urteil vom19.12.2012 – (503) 254 Js 306/11 KLs[]
  2. BGH, Urteil vom 07.08.2013 – 5 StR 253/13[]