Zugverspätungen – und das Verschulden der DB Netz AG
Kann ein Eisenbahnverkehrsunternehmen infolge schuldhaft verspäteter Bereitstellung von Trassen seine Pünktlichkeitsverpflichtung aus dem Verkehrsvertrag mit seinem Auftraggeber nicht erfüllen und wird deshalb seine Vergütung gemindert, kann es vom Betreiber des Schienennetzes Schadensersatz verlangen. Ordnet der Schienennetzbetreiber die Ursache für die verspätete Bereitstellung selbst seinem Verantwortungsbereich zu, begründet dies eine Beweiserleichterung für die Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung.
Mit dieser Begründung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in einem aktuellen Fall den vom Landgericht Frankfurt am Main[1] einem privaten Eisenbahnunternehmen gegen die das bundesweite Schienennetz betreibende DB Netz AG zugesprochenen Schadensersatzanspruch in Höhe von gut 60.000 € bestätigt.
Auf der Grundlage des zwischen den Parteien geschlossenen Infrastrukturvertrags bestellte das Eisenbahnunternehmen bei der DB Netz AG Zugtrassen. Die Eisenbahngesellschaft war ihrem regionalen Auftraggeber gegenüber zur Erbringung der Verkehrsleistungen im Personennahverkehr verpflichtet. Wegen Verspätungen an von der Eisenbahngesellschaft bedienten Haltepunkten kürzte der Auftraggeber die Vergütung der Eisenbahngesellschaft für die Jahre 2016 und 2017. Die Eisenbahngesellschaft nimmt deshalb die DB Netz AG auf Schadensersatz in Höhe der entgangenen Vergütung von gut 560.000,00 € in Anspruch. Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Frankfurt am Main hatte der Klage in Höhe von gut 60.000 € stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die hiergegen eingelegten Berufungen beider Parteien hatten vor dem Oberlandesgericht keinen Erfolg:
Das OLG bestätigte die grundsätzliche Haftung der DB Netz AG. Die DB Netz AG sei aufgrund des als Mietvertrag einzuordnenden Infrastrukturvertrags verpflichtet, der Eisenbahngesellschaft die Schienenbenutzung zu den vertraglich vereinbarten Trassenzeiten zu ermöglichen. Wenn die DB Netz AG die Trassen zu spät bereitstelle, begründe dies einen Mangel der Mietsache. Für Verspätungen und dadurch verursachte Vergütungskürzungen durch den Auftraggeber müsse die DB Netz AG bei schuldhaft verspäteten Bereitstellungen Schadensersatz leisten. Der Schadensersatzanspruch sei insoweit nicht auf erhebliche Mängel begrenzt. Grundsätzlich sei die Eisenbahngesellschaft verpflichtet, ein schuldhaftes Verhalten der DB Netz AG konkret darzulegen und nachzuweisen. Habe die DB Netz AG allerdings in ihrem internen Kodiersystem die verspätete Bereitstellung selbst ihrem Obhuts- und Verantwortungsbereich zugeordnet, begründe dies eine Beweiserleichterung zugunsten der Eisenbahngesellschaft. Wolle die DB Netz AG später behaupten, die Verspätung sei entgegen dieser Kodierung nicht ihrem Verantwortungsbereich zuzurechnen, müsste sie dies dann in jedem Einzelfall widerlegen und Alternativursachen im Einzelnen darlegen und beweisen.
Ersatzfähig seien hier Verspätungen von mehr als 90 Sekunden, die von der DB Netz AG in ihrem Kodiersystem den Rubriken „Betriebsplanung/Betriebsführung, Infrastrukturtechnik und bauliche Gründe“ zugeordnet worden waren. Weitergehende schuldhafte Pflichtverletzungen habe die Eisenbahngesellschaft indes nicht belegt. Soweit die DB Netz AG verspätete Bereitstellungen auf „extreme Einflüsse“, etwa in Form der Witterung, zurückgeführt habe, lägen diese nicht im Verantwortungsbereich der DB Netz AG. Folglich müsste die Eisenbahngesellschaft im Einzelfall schuldhafte Pflichtverletzungen nachweisen. Dies gelte auch für sog. „sekundäre Verspätungsursachen“, etwa in Form von „gefährlichen Ereignissen, Zugfolge, Anschluss“. Die Eisenbahngesellschaft habe diesen Nachweis nicht geführt.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 3. Februar 2023 – 2 U 88/21
- LG Frankfurt a.M., Urteil vom 14.05.2021 – 2-08 O 318/19[↩]