Schadensersatz für geschädigte Lehman-Anleger

Der Bundesgerichtshof hat sich in zwei Verfahren wiederum mit Schadensersatzklagen von Anlegern im Zusammenhang mit dem Erwerb von Zertifikaten der niederländischen Tochtergesellschaft der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers Holdings Inc. befasst. In zwei weiteren, ursprünglich ebenfalls auf den 16. Oktober 2012 terminierten Verfahren betreffend den Erwerb von „Lehman-Zertifikaten“ waren die Verhandlungstermine aufgehoben worden, weil die Anleger – jeweils nach Abschluss außergerichtlicher Vergleiche – ihre Revisionen zurückgenommen hatten. Insgesamt sind seit April 2011 in sieben „Lehman-Sachen“ die Verhandlungstermine infolge Revisionsrücknahme aufgehoben worden.

In den beiden jetzt verhandelten Sachen erwarben die Anleger jeweils im Februar 2007 von derselben beklagten Bank für Anlagebeträge in Höhe von 20.000 € bzw. 32.000 € „Global Champion Zertifikate“ zu einem dem Nennwert entsprechenden Stückpreis von 1.000 €. Bei diesen Zertifikaten handelt es sich um Inhaberschuldverschreibungen der niederländischen Lehman Brothers Treasury Co. B.V., deren Rückzahlung von der US-amerikanischen Lehman Brothers Holdings Inc. garantiert wurde. Zeitpunkt und Höhe der Rückzahlung der Zertifikate sowie mögliche Bonuszahlungen an die Anleger in Höhe von 8,75 % des angelegten Betrages sollten nach näherer Maßgabe der Zertifikatbedingungen von der Wertentwicklung dreier Aktienindizes (Dow Jones EuroSTOXX 50, Standard & Poor´s 500 sowie Nikkei 225) abhängig sein, mit denen das Zertifikat unterlegt war. Die Beklagte erhielt von der Emittentin jeweils eine Provision von 3,5 %, die sie den Anlegern nicht offenbarte.

Mit der Insolvenz der Emittentin (Lehman Brothers Treasury Co. B.V.) und der Garantin (Lehman Brothers Holdings Inc.) im September 2008 wurden die erworbenen Zertifikate weitgehend wertlos. Die Anleger erstreben mit ihren Klagen im Wesentlichen die Rückzahlung der jeweiligen Anlagebeträge abzüglich vor der Insolvenz der Emittentin erfolgter Bonuszahlungen.

Im ersten Verfahren war die Klage der Anlegerin in der Berufungsinstanz vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main erfolgreich[1]. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat angenommen, die Beklagte hafte schon deshalb, weil sie die Klägerin im Beratungsgespräch nicht über die bei Ausführung des Wertpapiergeschäfts von ihr vereinnahmte „Platzierungsprovision“ in Höhe von 3,5 % aufgeklärt habe. Die Beklagte, die die Wertpapiere zunächst im eigenen Namen erworben und nachfolgend im Wege des Festpreisgeschäfts an die Klägerin veräußert habe, sei zu einer vollständigen Information über die mit der Auftragsausführung verbundenen Gebühren, Provisionen, Entgelte und Auslagen verpflichtet gewesen. Zudem habe die Beklagte sich bei Ausführung der Kauforder – ähnlich wie bei Rückvergütungen im Sinne der „Kick-back“-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – in einem offenbarungspflichtigen Interessenkonflikt befunden. Ein Beratungsverschulden der Beklagten liege schließlich auch darin, dass sie den Wertpapierauftrag ohne Kenntnis der Klägerin „eigenmächtig“ im Wege des Festpreisgeschäfts ausgeführt habe.

Im zweiten Verfahren war die Klage der Anlegerin dagegen in den Vorinstanzen vor dem Landgericht Duisburg und dem Oberlandesgericht Düsseldorf erfolglos geblieben[2]. Das OLG Düsseldorf hat angenommen, die Empfehlung zum Erwerb der streitigen Zertifikate sei insbesondere deshalb anlegergerecht gewesen, weil es sich bei der Klägerin um eine erfahrene Anlegerin gehandelt habe. Die Klägerin habe sowohl vor als auch nach Zeichnung der „Lehman-Zertifikate“ weitere Wertpapiere – insbesondere Aktien insolventer deutscher und amerikanischer Unternehmen (unter anderem solcher des Bankhauses Lehman Brothers im Kurswert von 39.000 € einen Tag nach Insolvenzanmeldung) – erworben, bei denen sie ein Totalverlustrisiko in Kauf genommen habe. Selbst bei Annahme einer Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten könne sich die Klägerin daher jedenfalls nicht auf die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens berufen. Denn diese Vermutung sei durch das hoch spekulative Kaufverhalten der Klägerin, das sie sogar nach der Insolvenz von Lehman Brothers fortgesetzt habe, widerlegt. Eine Beratungspflichtverletzung sei schließlich nicht darin zu sehen, dass die Beklagte über ihre bei dem Wertpapierverkauf erzielte Gewinnmarge in Höhe von 3,5 % nicht aufgeklärt habe.

Der Bundesgerichtshof hat im ersten (Frankfurter) Verfahren auf die Revision der beklagten Bank das Berufungsurteil des OLG Frankfurt aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen, weil jedenfalls mit der gegebenen Begründung ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die beklagte Bank nicht bejaht werden kann. Das OLG Frankfurt wird nunmehr den weiteren Pflichtverletzungen nachzugehen haben, die die Klägerin der Beklagten im Hinblick auf die streitgegenständlichen Zertifikate vorwirft.

Im zweiten (Düsseldorfer) Verfahren ist dagegen die Revision der Klägerin – die vom OLG Düsseldorf ohnehin nur beschränkt auf die Frage einer Aufklärungspflicht der Beklagten über ihre „Gewinnmarge“ zugelassen worden war – vom Bundesgerichtshof zurückgewiesen worden.

Mit diesen beiden Revisionsentscheidungen hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zu „Lehman-Zertifikaten“[3]bestätigt:

Bei einem Festpreisgeschäft muss die beratende Bank den Kunden auf der Grundlage der insoweit gebotenen typisierenden Betrachtungsweise weder über ihre Gewinnmarge noch darüber aufklären, dass der Zertifikaterwerb im Wege eines Eigengeschäfts (Kaufvertrag) erfolgt. Für den Fall, dass dem Zertifikaterwerb ein Kommissionsvertrag zwischen dem Anleger und der Bank zugrunde liegt, besteht jedenfalls keine Aufklärungspflicht der Bank über eine allein von der Emittentin an sie gezahlte Vergütung. Eine solche Aufklärungspflicht ergibt sich insbesondere nicht aus den Rechtsprechungsgrundsätzen zu Rückvergütungen. Denn diese Grundsätze betreffen lediglich Rückvergütungen aus offen ausgewiesenen Vertriebsprovisionen, deren Rückfluss an die beratende Bank dem Kunden verheimlicht wird. In beiden hier zu entscheidenden Fällen wiesen die Wertpapierabrechnungen dagegen nur den an die Beklagte zu zahlenden Nominal- bzw. Kurswert der Zertifikate, aber keine von den Anlegern an die Emittentin zu entrichtenden und ohne Wissen der Anleger an die Bank zurückfließenden Posten aus.

Bundesgerichtshof, Urteile vom 16. Oktober 2012 – XI ZR 367/11 und XI ZR 368/11

  1. OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 29.06.2011 – 17 U 213/10[]
  2. LG Duisburg, Urteil vom 16.09.2010 – 8 O 362/09; OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.07.2011 – I-17 U 182/10[]
  3. BGH, Urteile vom 27.09.2011 – XI ZR 178/10 und XI ZR 182/10; sowie vom 26.06.2012 – XI ZR 259/11, XI ZR 316/11, XI ZR 355/11 und XI ZR 356/11[]