Google – und das Recht auf Vergessenwerden
Der Auslistungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO erfordert eine umfassende Grundrechtsabwägung auf der Grundlage aller relevanten Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs.
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streitfall hatte der Geschäftsführer eines Regionalverbandes einer Wohlfahrtsorganisation geklagt. Im Jahr 2011 wies dieser Regionalverband ein finanzielles Defizit von knapp einer Million Euro auf; kurz zuvor meldete sich der Geschäftsführer krank. Über beides berichtete seinerzeit die regionale Tagespresse unter Nennung des vollen Namens des Geschäftsführers. Der Geschäftsführer begehrt nunmehr von Google, es zu unterlassen, diese Presseartikel bei einer Suche nach seinem Namen in der Ergebnisliste nachzuweisen.
Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Frankfurt am Main hat die Klage abgewiesen[1], das Oberlandesgericht Frankfurt die Berufung des Geschäftsführers zurückgewiesen[2]. Der Bundesgerichtshof hat nun auch die vom Oberlandesgericht im Berufungsurteil zugelassene Revision des Geschäftsführers zurückgewiesen:
Der geltend gemachte Anspruch des Geschäftsführers auf Auslistung der streitgegenständlichen Ergebnislinks ergibt sich nicht aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO.
Der Auslistungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO erfordert nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.11.2019[3] eine umfassende Grundrechtsabwägung, die auf der Grundlage aller relevanten Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs in die Grundrechte der betroffenen Person einerseits (Art. 7, 8 GRCh), der Grundrechte des Suchmaschinenbetreibers, der Interessen ihrer Nutzer und der Öffentlichkeit sowie der Grundrechte der Anbieter der in den beanstandeten Ergebnislinks nachgewiesenen Inhalte andererseits (Art. 11, 16 GRCh) vorzunehmen ist.
Da im Rahmen dieser Abwägung die Meinungsfreiheit der durch die Entscheidung belasteten Inhalteanbieter als unmittelbar betroffenes Grundrecht in die Abwägung einzubeziehen ist, gilt keine Vermutung eines Vorrangs der Schutzinteressen des Betroffenen. Vielmehr sind die sich gegenüberstehenden Grundrechte gleichberechtigt miteinander abzuwägen.
Aus diesem Gebot der gleichberechtigten Abwägung folgt aber auch, dass der Verantwortliche einer Suchmaschine nicht erst dann tätig werden muss, wenn er von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung des Betroffenen Kenntnis erlangt.
An seiner noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten der DSGVO entwickelten gegenteiligen Rechtsprechung[4] hält der Bundesgerichtshof insoweit nicht fest.
Nach diesen Grundsätzen haben die Grundrechte des Geschäftsführers auch unter Berücksichtigung des Zeitablaufs im konkreten Fall hinter den Interessen der Suchmaschinenbetreiberin und den in deren Waagschale zu legenden Interessen ihrer Nutzer, der Öffentlichkeit und der für die verlinkten Zeitungsartikel verantwortlichen Presseorgane zurückzutreten, wobei der fortdauernden Rechtmäßigkeit der verlinkten Berichterstattung entscheidungsanleitende Bedeutung für das Auslistungsbegehren gegen die Beklagte zukommt.
Im Hinblick auf den Anwendungsvorrang des vorliegend unionsweit abschließend vereinheitlichten Datenschutzrechts und die bei Prüfung eines Auslistungsbegehrens nach Art. 17 DSGVO vorzunehmende umfassende Grundrechtsabwägung kann der Geschäftsführer seinen Anspruch auch nicht auf Vorschriften des nationalen deutschen Rechts stützen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. Juli 2020 – VI ZR 405/18
- LG Frankfurt am Main. Urteil vom 26.10.2017 – 2-03 O 190/16[↩]
- OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 06.09.2018 – 16 U 193/17[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 06.11.2019 – 1 BvR 276/17 – Recht auf Vergessen II[↩]
- BGH, Urteil vom 27.02.2018 – VI ZR 489/16, BGHZ 217, 350, 363 Rn. 36 i.V.m. 370 f. Rn. 52[↩]