EU-Fluggastdatenabkommen mit Kanada
Das geplante Abkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union über die Übermittlung von Fluggastdatensätzen darf nach einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seiner jetzigen Form nicht geschlossen werden.
Zwar ist die systematische Übermittlung, Speicherung und Verwendung sämtlicher Fluggastdatensätze nach Einschätzung des Unionsgerichtshofs im Wesentlichen zulässig, doch genügen mehrere Bestimmungen des Abkommensentwurfs nicht den Anforderungen, die sich aus den Grundrechten der Union ergeben.
Die Europäische Union und Kanada haben ein Abkommen über die Übermittlung und Verarbeitung von Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records – PNR) ausgehandelt, das im Jahr 2014 unterzeichnet wurde. Der Rat der Europäischen Union ersuchte das Europäische Parlament um Zustimmung zum Abkommen. Das Europäische Parlament hat daraufhin den Gerichtshof der Europäischen Union angerufen, um Aufschluss darüber zu erhalten, ob das geplante Abkommen mit dem Unionsrecht, insbesondere mit den Vorschriften über die Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten, vereinbar ist.
Ein Mitgliedstaat, das Europäische Parlament, der Rat oder die Kommission kann ein Gutachten des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vereinbarkeit einer geplanten Übereinkunft mit den Verträgen einholen. Ist das Gutachten des Unionsgerichtshofs ablehnend, so kann die geplante Übereinkunft nur in Kraft treten, wenn sie oder die Verträge geändert werden. Dies hier ist das erste Mal, dass der Unionsgerichtshof über die Vereinbarkeit einer geplanten internationalen Übereinkunft mit der Grundrechtecharta der Europäischen Union zu befinden hat.
Die gutachterliche Äußerung des EuGH
Nach alledem stellt der Gerichtshof der Europäischen Union fest, dass
- der Beschluss des Rates über den Abschluss des geplanten Abkommens auf Art. 16 Abs. 2 gemeinsam mit Art. 87 Abs. 2 Buchst. a AEUV zu stützen ist;
- das geplante Abkommen nicht mit Art. 7, Art. 8, Art. 21 und Art. 52 Abs. 1 der Charta vereinbar ist, soweit es die Übermittlung sensibler Daten aus der Union nach Kanada und die Verwendung und Speicherung solcher Daten nicht ausschließt;
- das geplante Abkommen, um mit Art. 7, Art. 8 und Art. 52 Abs. 1 der Charta vereinbar zu sein,
- die aus der Union nach Kanada zu übermittelnden PNR-Daten klar und präzise definieren muss,
- vorsehen muss, dass die im Rahmen der automatisierten Verarbeitung von PNR-Daten verwendeten Modelle und Kriterien spezifisch und zuverlässig sowie nicht diskriminierend sind und dass nur Datenbanken verwendet werden, die von Kanada im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus und grenzübergreifender schwerer Kriminalität betrieben werden,
- außer im Rahmen der Überprüfungen der im Voraus festgelegten Modelle und Kriterien, auf denen die automatisierte Verarbeitung der PNR-Daten beruht, die Verwendung von PNR-Daten durch die zuständige kanadische Behörde während des Aufenthalts der Fluggäste in Kanada und nach ihrer Ausreise aus diesem Land sowie jede Weitergabe der Daten an andere Behörden materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen unterwerfen muss, die sich auf objektive Kriterien stützen, sowie diese Verwendung und Weitergabe – außer in hinreichend begründeten Eilfällen – einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle unterwerfen muss, wobei die Entscheidung, mit der die Verwendung genehmigt wird, im Anschluss an einen mit Gründen versehenen Antrag ergeht, der von den zuständigen Behörden insbesondere im Rahmen von Verfahren zur Verhütung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten gestellt wird,
- die Speicherung von PNR-Daten nach der Ausreise der Fluggäste auf die Daten von Fluggästen beschränken muss, für die objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von ihnen eine Gefahr im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus und grenzübergreifender schwerer Kriminalität ausgehen könnte,
- die Weitergabe von PNR-Daten durch die zuständige kanadische Behörde an Behörden eines Drittlands davon abhängig machen muss, dass es ein Abkommen zwischen der Union und dem betreffenden Drittland, das dem geplanten Abkommen äquivalent ist, oder einen Beschluss der Kommission gemäß Art. 25 Abs. 6 der Richtlinie 95/46 gibt, der sich auf die Behörden erstreckt, an die PNR-Daten weitergegeben werden sollen,
- ein Recht auf individuelle Information der Fluggäste im Fall der Verwendung der sie betreffenden PNR-Daten während ihres Aufenthalts in Kanada und nach ihrer Ausreise aus diesem Land und im Fall der Weitergabe dieser Daten durch die zuständige kanadische Behörde an andere Behörden oder Einzelpersonen vorsehen muss und
- gewährleisten muss, dass die Kontrolle der Einhaltung der Regeln des geplanten Abkommens für den Schutz der Fluggäste bei der Verarbeitung der sie betreffenden PNR-Daten durch eine unabhängige Kontrollstelle sichergestellt wird.
Folglich äußert sich der Gerichtshof der Europäischen Union (Große Kammer) gutachtlich wie folgt:
- Der Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zwischen Kanada und der Europäischen Union über die Übermittlung und Verarbeitung von Fluggastdatensätzen im Namen der Union ist auf Art. 16 Abs. 2 gemeinsam mit Art. 87 Abs. 2 Buchst. a AEUV zu stützen.
- Das Abkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union über die Übermittlung und Verarbeitung von Fluggastdatensätzen ist nicht mit Art. 7, Art. 8, Art. 21 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar, soweit es die Übermittlung sensibler Daten aus der Europäischen Union nach Kanada und die Verwendung und Speicherung solcher Daten nicht ausschließt.
- Das Abkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union über die Übermittlung und Verarbeitung von Fluggastdatensätzen muss, um mit Art. 7, Art. 8 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte vereinbar zu sein,
- die aus der Europäischen Union nach Kanada zu übermittelnden Fluggastdatensätze klar und präzise definieren,
- vorsehen, dass die im Rahmen der automatisierten Verarbeitung von Fluggastdatensätzen verwendeten Modelle und Kriterien spezifisch und zuverlässig sowie nicht diskriminierend sind und dass nur Datenbanken verwendet werden, die von Kanada im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus und grenzübergreifender schwerer Kriminalität betrieben werden,
- außer im Rahmen der Überprüfungen der im Voraus festgelegten Modelle und Kriterien, auf denen die automatisierte Verarbeitung der Fluggastdatensätze beruht, die Verwendung von Fluggastdatensätzen durch die zuständige kanadische Behörde während des Aufenthalts der Fluggäste in Kanada und nach ihrer Ausreise aus diesem Land sowie jede Weitergabe der Daten an andere Behörden materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen unterwerfen, die sich auf objektive Kriterien stützen, sowie diese Verwendung und Weitergabe – außer in hinreichend begründeten Eilfällen – einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle unterwerfen, wobei die Entscheidung, mit der die Verwendung genehmigt wird, im Anschluss an einen mit Gründen versehenen Antrag ergeht, der von den zuständigen Behörden insbesondere im Rahmen von Verfahren zur Verhütung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten gestellt wird,
- die Speicherung von Fluggastdatensätzen nach der Ausreise der Fluggäste auf die Daten von Fluggästen beschränken, für die objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von ihnen eine Gefahr im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus und grenzübergreifender schwerer Kriminalität ausgehen könnte,
- die Weitergabe von Fluggastdatensätzen durch die zuständige kanadische Behörde an Behörden eines Drittlands davon abhängig machen, dass es ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem betreffenden Drittland, das dem Abkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union über die Übermittlung und Verarbeitung von Fluggastdatensätzen äquivalent ist, oder einen Beschluss der Kommission gemäß Art. 25 Abs. 6 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr gibt, der sich auf die Behörden erstreckt, an die Fluggastdatensätze weitergegeben werden sollen,
- ein Recht auf individuelle Information der Fluggäste im Fall der Verwendung der sie betreffenden Fluggastdatensätze während ihres Aufenthalts in Kanada und nach ihrer Ausreise aus diesem Land und im Fall der Weitergabe dieser Daten durch die zuständige kanadische Behörde an eine andere Behörde oder an Einzelpersonen vorsehen und
- gewährleisten, dass die Kontrolle der Einhaltung der Regeln des Abkommens zwischen Kanada und der Europäischen Union über die Übermittlung und Verarbeitung von Fluggastdatensätzen für den Schutz der Fluggäste bei der Verarbeitung der sie betreffenden Fluggastdatensätze durch eine unabhängige Kontrollstelle sichergestellt wird.
Gerichtshof der Europäischen Union – Gutachten vom 26. Juli 2017 – Avis 1/15